20.04.2019

Enteignung scheint eine gute Idee zu sein

Berlin und Mülheim an der Ruhr sind zwei Städte, die sich durch ihre Größe, ihr politisches Klima und ihre Geschichte ganz erheblich voneinander unterscheiden (mit einem Augenzwinkern könnte man bestenfalls behaupten, dass der Zustand ihrer Finanzen vergleichbar ist).

Aber trotz des räumlich und gedanklich großen Abstands wird in der Bundeshauptstadt gerade eine Debatte geführt, die auch uns hier in unserer 170.000-Einwohner-Kommune betrifft: Es geht um die Enteignung von großen Wohnungsunternehmen.

Anfang April 2019 haben Berliner Bürger ein Volksbegehren gestartet, das erheblichen Zulauf erhält. Es hat, wie die Welt berichtete, zum Ziel, Wohnungsgesellschaften mit mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen. Dabei will man sich auf Artikel 15 in unserem Grundgesetz berufen. Die enteigneten Wohnungsbestände sollen dann in Gemeineigentum überführt werden und die betroffenen Unternehmen sollen „deutlich unter Marktwert entschädigt werden“, schreibt die Zeitung.

An der Diskussion hat sich eine heftige gesellschaftliche Debatte entzündet, zu der sich namhafte Politiker ganz unterschiedlich positioniert haben. Diese ist wichtig und muss geführt werden. Unser eigener Interessenverband, der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen hat sich natürlich strikt gegen die Enteignung von Wohnungseigentümern ausgesprochen. Verbandspräsident Axel Gedaschko hat sie als „populistische Scheinlösungen“ bezeichnet. Er hat auch betont: „Durch eine Enteignung entsteht kein einziger Quadratmeter neuer Wohnraum. Die notwendigen Entschädigungszahlungen wären herausgeschmissenes Geld, das Wohnungsunternehmen sehr viel sinnvoller in den Bau neuer bezahlbarer Wohnungen investieren könnten.“ Die Baukosten müssten gesenkt und es müssten dringend bessere Bedingungen für mehr Neubau geschaffen werden, um die Märkte schnell zu entlasten.

Als Vorstandsvorsitzender einer Wohnungsgenossenschaft mit mehr als 5.000 Wohnungen kann ich nicht behaupten, dass ich in der Diskussion um Enteignung neutral wäre. Auch wenn MWB ein völlig anderes Selbstverständnis und eine ganz andere Zielsetzung hat als die großen, renditeorientierten Vermieter in Berlin, so betrifft die Diskussion auch uns. Da begrüße ich es sehr, dass unsere Interessenvertreter in Berlin (und im VdW Rheinland Westfalen in Düsseldorf) jetzt lautstark aktiv werden.

Sie führen ja auch vernünftige Argumente auf. Klar, mehr Neubau kann Wohnungsmärkte entlasten. Und natürlich sind die Baukosten auch ein entscheidender Faktor für den Anstieg der Mieten. Wir bei MWB machen ja selbst die Erfahrung, dass wir in Mülheim an der Ruhr für frei finanzierte Neubauwohnungen meist rund 10 Euro Kaltmiete nehmen müssen, damit sich die Investition rechnet. Die Politik selbst hat an der Preisschraube gedreht. Dadurch ist Bauen durch immer mehr Vorschriften, immer weitere Auflagen und energetische Verschärfungen heute sehr teuer und ich würde mir wünschen, dass es wieder günstiger zu bewerkstelligen wäre. Auch wenn wir modernisieren, dann müssen wir so viele Auflagen beachten, dass Mieterhöhungen danach nicht immer vermeidbar sind.

Und trotzdem finde ich: Es muss sich niemand wundern, dass Enteignung für viele Menschen jetzt eine gute Idee zu sein scheint. Dafür gibt es gute Gründe. Es reicht nicht, einfachen Bürgern, Normal- und Geringverdienern nur wie Schulkindern zu erklären, dass Enteignung der Wohnungsriesen ihre Probleme nicht lösen wird.

Es ist nämlich absolut richtig, dass es in den vergangenen Jahren Fehlentwicklungen auf den Immobilienmärkten gegeben hat. Ein ordentlicher Teil der Wohnungen, die die Berliner nun „zurückenteignen“ wollen, war einmal in kommunaler oder öffentlicher Hand. Sie wurden an renditegetriebene Fonds verkauft – und zwar von Politikern, die sich jetzt wundern, dass die Bürger die Auswirkungen dieser Entscheidungen offenbar ganz und gar nicht schön finden und zurücknehmen wollen.

Die Menschen sind eben nicht naiv. Man kann ihnen noch so oft sagen, dass die Baukosten gestiegen sind – sie differenzieren zwischen Vermietern, die behutsam modernisieren und die Wohnkosten im Zaum halten wollen, und solchen, denen völlig egal ist, ob ein Mieter die Wohnung auch nach der Modernisierung noch bezahlen kann. Es ist ihr gutes Recht, sich dagegen zu wehren.

Ich will mit all dem gar nicht selbstgerecht klingen. Unsere Wohnungsgenossenschaft hat, wie gesagt, ein anderes Geschäftsmodell. Aber wir müssen denselben marktwirtschaftlichen Regeln folgen, sind ebenso bis zu einem gewissen Grad darauf angewiesen, Rendite zu erwirtschaften. Auch wir wägen inzwischen notgedrungen ganz genau ab, wo wir für Menschen mit höherem Einkommen bauen, damit wir mit dem Gewinn bezahlbares Wohnen für die „ganz normalen“ Genossenschaftsmitglieder ermöglichen können.

Eine Diskussion über die Enteignung von Wohnungseigentümern ist ein klares Zeichen dafür, dass es Fehlentwicklungen und fragwürdige politische Weichenstellungen gegeben hat. Sie ist also auch ein Warnschuss, den wir alle beachten sollten, und eine Lehre für die Zukunft. Das gilt natürlich in erster Linie für die überhitzten Wohnungsmärkte in den Großstädten. Aber es ist ja nicht so, dass nicht auch hier in Mülheim die Mieten steigen würden.

Deswegen hoffe ich, dass das sehr gute Programm zur sozialen Wohnraumförderung des Landes NRW auch weiter fortgeführt wird. Ich bin außerdem froh, dass die InWIS-Analyse [LINK ZUM BLOGBEITRAG VOM 31. JANUAR] ein Anstoß dafür war, dass auch in Mülheim wieder mehr über den Wohnraumbedarf gesprochen wird. Dass es einen runden Tisch geben soll, an dem Politik und Wohnungsanbieter ihre Ideen austauschen können, finde ich – wie schon gesagt – sehr sinnvoll.

Denn auch, wenn es hier in Mülheim wohl so schnell keine Diskussion über die Enteignung der Wohnungsunternehmen geben wird: Dass man die Wohnungsmärkte nicht dem freien Spiel des Kapitalismus überlassen darf, das führt uns die Entwicklung in Berlin auf jeden Fall ganz deutlich vor Augen. Enteignung ist die falsche Lösung. Dass künftig wieder mehr Wohnungen in kommunaler oder öffentlicher Hand entstehen – wo sie von Fachleuten verwaltet werden, bei denen die Rendite nicht an oberster Stelle steht – das wäre sehr sinnvoll.

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